Doppelidentitäten

18.02.2010: Die polnischsprachige Bevölkerung in der Bunderepublik – Beitrag von Basil Kerski im Deutschlandradio Kultur

Quelle

16.02.2010:

Quelle: Deuschlandradio Kultur

Man nennt sie die „Podolski-Klose-Generation“ – Kinder der in den 80er-Jahren aus Polen eingewanderten Menschen. Sie sind in der Bundesrepublik aufgewachsen, haben die Verbindungen in ihr polnisches Geburtsland nie gekappt, pflegen ihre Doppelidentität und machen diese Haltung zunehmend auch öffentlich sichtbar – so zum Beispiel der Fußballer Lukas Podolski oder der Schriftsteller Artur Becker.

Die Pflege der Doppelidentität von Deutschpolen ist zurzeit ein wichtiges Thema zwischen Berlin und Warschau. Polnische Politiker werfen der Bundesregierung vor, den Nachbarschaftsvertrag von 1991 nicht genügend umzusetzen. In ihm verpflichtete sich Warschau zur Anerkennung der deutschen Minderheit, die Bundesregierung wiederum wollte die kulturelle Doppelidentität von Einwanderern aus Polen fördern. Der polnische Staat garantiert seitdem der deutschen Minderheit Parlamentsmandate und unterstützt deutsche Vereine sowie Schulen mit bis zu zehn Millionen Euro jährlich.

Nach Ansicht polnischer Organisationen in Deutschland tut Warschau viel für die deutsche Minderheit, die Bundesregierung aber kümmere sich kaum um die Belange von Deutschpolen, so zum Beispiel um den Polnischunterricht an deutschen Schulen. Sie fordern den Status einer nationalen Minderheit und berufen sich auf die über 100-jährige Geschichte der polnischen Auswanderung nach Deutschland, vor allem ins Ruhrgebiet. Sie verweisen zudem darauf, dass die Polen in der Weimarer Republik als nationale Minderheit politisch anerkannt gewesen seien. Das polnische Außenministerium teilt diese Auffassung und hat offiziell Mitte Dezember 2009 die deutschen Partner gebeten, die Forderungen der polnischen Organisationen zu prüfen.

Die Bundesregierung lehnt aber einen Minderheitsstatus für deutsche Polen ab und argumentiert, dass sie keine ethnische Gruppe seien, die seit Generationen bestimmte Siedlungsschwerpunkte bewohne. Und was die doppelsprachige Förderung von deutsch-polnischen Kindern anbelangt, so sei dies für den Bund angesichts der Bildungskompetenz der Länder nur schwer durchzusetzen.

Die deutsch-polnische Debatte um den Umgang mit dem Kulturerbe polnischer Einwanderer ist nicht nur ein Thema für Diplomaten und Experten, sie berührt die grundsätzliche Frage nach der Weiterentwicklung der nationalen Identitätsmuster in Deutschland. Mit der 1998 in der Bundesrepublik eingeleiteten Reform des Staatsbürgerschaftsrechts begann ein Wandel der traditionellen ethnischen, nationalen Leitvorstellungen. Die Bundesrepublik hat Abschied von der Dominanz des Prinzips der Vererbung der Staatsangehörigkeit genommen und es durch das Prinzip des Erwerbs der Staatsangehörigkeit durch Geburt im Land ergänzt.

Damit definiert sich heute die Bundesrepublik weniger als eine ethnische Schicksalsgemeinschaft denn als eine politische Gemeinschaft – als eine Nation mit unterschiedlichen kulturellen Grundlagen. Das durch Einwanderer eingebrachte polnische oder auch türkische Kulturerbe wird somit auch zu einem Element der deutschen Nation. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Pflege der Kultur der polnischen Einwanderer auch eine Aufgabe für die Berliner Republik ist, so wie umgekehrt der polnische Staat sein pluralistisches Fundament sichert, indem er die deutsche Minderheit und ihr Kulturerbe in Polen fördert.

Basil Kerski ist Chefredakteur des zweisprachigen „Deutsch-Polnischen Magazins DIALOG“, geboren 1969 in Danzig, lebt seit 1979 in Berlin, wo er an der Freien Universität Slawistik und Politikwissenschaft studiert hat. Die von ihm geleitete Zeitschrift erhielt am 2. Oktober 2009 in Saarbrücken den von der Bundeszentrale für politische Bildung gestifteten „Einheitspreis 2009“ in der Kategorie „Kultur“.

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