„Wer ein Leben rettet, der rettet die ganze Welt.“

06.10.2017: Zwei Projektreisen gegen das Vergessen …

„Wer ein Leben rettet, der rettet die ganze Welt.“

Wer mich kennt, weiß, wie sehr mir Versöhnung, Frieden und damit verbunden auch alle Projekte gegen das Vergessen am Herzen liegen. So erklärte ich mich auch in diesem Jahr mit großer innerer Freude dazu bereit, mit den Jugendlichen von der Sekundarschule „Adolf Holst“ in Mücheln vom 11. bis 15. September 2017 sowie mit den Schülern des Domgymnasiums Merseburg von 18. bis 22. September 2017 in meiner Funktion als Dolmetscher zur Gedenkstätte Treblinka im polnischen Masowien zu reisen.

Die erste Gruppe wurde zusätzlich von den beiden Lehrerinnen Eleonora Müller und Sylvia Cecaric sowie von Susanne Göhricke aus der Geschichtswerkstatt Merseburg begleitet, bei den Gymnasiasten aus Merseburg nahm Undine Schönfeldt sowie der Fotograf Knut Mueller an der Reise teil.

Man könnte Treblinka leider auch als riesigen Friedhof bezeichnen, denn an diesem Ort wurden vom 21. Juli 1942 bis zum 21. August 1943 ca. 912.000 Menschen ermordet. Die Schüler beider Gruppen wurden sehr still, als sie auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers die 17.000 Granitblöcke stehen sahen. Ein Kreis rund um den Steinturm sowie Teile des Geländes der Massen- bzw. Aschegräber – insgesamt rund 22.000 m² – sind mit Betonplatten überdeckt, auf denen etwa 17.000 gebrochene, unbehauene Granitsteine unterschiedlicher Größe verteilt stehen, die jüdische Grabsteine symbolisieren sollen. In 216 von ihnen sind die Namen der Herkunftsorte u. -gemeinden der Opfer von Treblinka eingraviert. Immer wieder bringen auch die vielen Kreuze, die auf dem Gebiet des ehemaligen Strafarbeitslagers zu sehen sind, alle Beteiligten zum ehrfurchtsvollen Schweigen. Sie erinnern an die 10.000 polnischen Menschen, die dort ihr Leben lassen mussten. Manche der Opfer wurden direkt aus den Gefängnissen, z. B. dem aus Pawiak, nach Treblinka gebracht. Einziges Ziel war, sie dort zu erschießen. In solchen Momenten braucht man keine Worte, auch keinen Dolmetscher … man kann einfach nur hoffen und wünschen und beten, dass sich die Geschichte nie wiederholen möge. Ähnlich nachdenklich waren wir auch beim Innehalten am Denkmal, welches an die 2.000 ermordeten Sinti und Roma erinnern soll.

„Wer ein Leben rettet, der rettet die ganze Welt.“

Zu den wichtigen Punkten des Besuchsprogramms gehörte auch das Gespräch mit Jadwiga Stankiewicz Jóźwik, einer dort in der Nähe lebenden Zeitzeugin des Zeiten Weltkrieges. Sie ist eine „Gerechte unter den Völkern“. Diese Auszeichnung erhielt sie im Jahre 1999. Ihr Name kann in der israelischen „Yad Vashem“ gelesen werden. Sie ist eine (nach Angaben von „Yad Vashem“ vom 01.01.2016) von 6.620 polnischen Menschen, die diese Ehrung erhielten. Das entspricht ca. 25 % aller Gerechten unter den Völkern (26.119 Menschen insgesamt mit Stand vom 01.01.2016). Auf der Medaille, die sie damals erhielt, steht: „Wer ein Leben rettet, der rettet die ganze Welt.“

Jadwiga Stankiewicz Jóźwik, damals ein 15-jähriges Mädchen, rettete in Warschau drei Menschen das Leben. Sie arbeitete als Haushalthilfe bei einer Familie in Warschau, wo drei Juden versteckt wurden. Als die Gestapo am 31.12.1943 in die Wohnung eindringen wollte, ermöglichte sie zwei Personen die Flucht durch einen Hinterausgang. Die dritte und schon ältere Person versteckte sie im Bett, gut eingewickelt in eine Steppdecke. Außerdem rettete sie einem Jungen das Leben, indem sie ihm die Geburtsurkunde ihres verstorbenen Bruders gab. Alle überlebten! Familie Muszynski emigrierte nach dem Krieg in die USA und Janusz Kon überstand mit der fremden Geburtsurkunde ebenfalls den Krieg. Frau Jóźwik, inzwischen 92 Jahre alt, beindruckte uns nicht nur mit ihrer Lebensgeschichte, sondern auch mit ihrer positiven Lebenseinstellung. Auf die Frage, ob sie ihr Leben nochmals in einer ähnlichen Situation riskiert hätte, antwortete sie ohne zu zögern mit einem klaren „JA“. Leider konnten wir Frau Jóźwik bei der zweiten Treblinka-Reise in der Folgewoche, bei der ich die Schüler des Domgymnasiums Merseburg begleitete, aufgrund ihrer Krankheit nicht treffen. Doch ihr Sohn Krzysztof Jóźwik erzählte uns die Geschichte seiner Mutter und richtete unsere Grüße aus.

Im Rahmen eines vorangegangenen Projektes „Wir knöpfen uns Geschichte vor“ übergaben die Schüler beider Gruppen je einen Koffer mit 8.500 Knöpfen an Anna Remiszewska, Mitarbeiterin der Gedenkstätte in Treblinka. Zusammengenommen sollen sie an die Anzahl von 17.000 Menschen erinnern, die maximal an einem Tag in Treblinka ermordet wurden. Die Knöpfe wurden gemeinsam mit einem in Polnisch, Deutsch und Englisch verfassten Flyer übergeben. Als Überschrift hatten die Schüler „Zukunft braucht Erinnerung“ gewählt.

Es war für mich gut zu erleben, dass die Jugendlichen auf diesen Besuch sehr gut vorbereitet waren. Unser aller Dank geht auch an die Geschichtswerkstatt Merseburg – Saalekreis e.V. mit ihrem Vorsitzenden Peter Wetzel. Natürlich danken wir auch Dr. Edward Kopówka und insbesondere Anna Remiszewska von der Gedenkstätte Treblinka dafür, dass unser Besuch dort so inhaltsreich verlaufen konnte. Wir alle wissen, dass wir die Geschichte nicht vergessen dürfen. Diese Projekte mit den Jugendlichen, die unsere Zukunft sind, sind der beste Weg, anschaulich zu verdeutlichen, warum Frieden nicht nur ein Wort, sondern gelebtes gemeinsames Handeln ist, damit sich solche Gräueltaten nicht wiederholen. Als Mitglied und 2. Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. kann ich versichern, dass wir auch weiterhin solche wichtigen Projekte jederzeit unterstützen werden. Ich wünsche den Jugendlichen und uns allen, dass wir weiterhin in Frieden leben werden.
Dr. Edward Sułek

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